Es gibt sie wirklich, die Liebe auf den ersten Blick. Sogar recht häufig. Was macht sie mit uns? Was schenkt sie uns? Forscher sind dem Mysterium auf der Spur.
Eine Viertelsekunde nur, Auge in Auge, soviel reicht nach Erkenntnis der modernen Wissenschaft schon aus, um sein eigenes Schicksal zu besiegeln und sich zu verlieben. Das Herz macht Sprünge, die Knie werden weich, die Haut schwitzt, der Kopf surrt, Hormone durchfluten den Körper. Verliebt sein: ein großartiges Gefühl, erregend, energetisch, grenzüberschreitend. Eine wunderbar alters- und zeitlose Empfindung, die seit Ewigkeiten Menschen in Wallung bringt.
"Etwa die Hälfte aller Liebesbeziehungen starten als "Liebe auf den ersten Blick", sagt Dr. Wolfgang Krüger, Psychotherapeut aus Berlin und Sachbuchautor zu diesem Thema. Die anderen 50 Prozent der Fälle entwickeln sich allmählich: Man ist schon länger miteinander befreundet, man kennt sich aus dem Kollegenkreis, findet sich sympathisch. "Irgendwann gibt es dann eine Schlüsselsituation, eine Art Erweckungserlebnis, das die Türen zueinander öffnet.“ Das kann die Betriebsfeier sein, ein gemeinsames Erlebnis oder ein tiefgreifendes Gespräch.
Wie entsteht Liebe auf den ersten Blick?
Bei der Liebe auf den ersten Blick macht es Klick im Kopf, ohne Vorgeplänkel. Was aber löst den Startschuss für die Achterbahnfahrt der Gefühle aus? Wie kommt es, dass zwei fremde Menschen sich nur ansehen müssen und augenblicklich verloren sind? Was passiert mit Hirn, Herz und Körper? Erst seit relativ kurzer Zeit befasst sich die Forschung mit dem Mysterium der Liebe. Noch in den 70er-Jahren befand etwa ein US-Senator, dass "gewisse Dinge im Leben geheimnisvoll bleiben sollten, und an der Spitze der Liste jener Dinge, die wir nicht wissen wollen, steht, warum zwei Menschen sich verlieben er begründete damit übrigens die rigorose Kürzung von Forschungsgeldern.
Damals kannte man noch keine "Speed Datings“, jene straff organisierten Flirt- und Kennlern-Runden, bei denen sich Singles jeweils im Drei-Minuten-Takt näherkommen können. Heute gelten solche Massen-Rendezvous unter Sozialwissenschaftlern als ideale Versuchsanordnung zur Erkundung von Kriterien und Strategien der Partnerwahl.
Partnerwahl: Die ersten Sekunden entscheiden
So stellte beispielsweise Professor Robert Kurzban von der University of Pennsylvania bei der Datenanalyse von mehr als 10.000 anonymen Speed-Dating-Teilnehmern fest: "Obwohl sie drei Minuten Zeit haben, treffen die meisten Teilnehmer ihre Auswahl auf der Basis von Informationen, die sie in den ersten drei Sekunden gesammelt haben." Es sei doch "überraschend, dass Aspekte wie Religionszugehörigkeit, Ausbildung und Einkommen, von denen man annimmt, dass sie für die Leute wichtig sind, als Auswahlkriterien kaum eine Rolle spielen.“ Beim ersten Aufeinandertreffen zweier paarungswilliger Singles sind selbst wie Themen wie Raucher oder Nichtraucher unerheblich. Was zählt, ist äußere Attraktivität.
Das bestätigt auch eine Studie an der Berliner Humboldt-Universität von 2009, an der rund 380 Männer und Frauen zwischen 18 und 54 Jahren beteiligt waren. Ein attraktives Gesicht ist demnach für Männer und Frauen das wichtigste Auswahlkriterium, gefolgt von der Sympathie der Stimme, fanden Professor Jens Asendorpf und sein Team heraus. Große Männer sammeln zusätzlich Pluspunkte beim anderen Geschlecht. Frauen mit Ãœbergewicht haben es schwerer als andere, während dies für dicke Männer nicht unbedingt zutrifft. Männer, die sexuelle Erfahrung ausstrahlen, wirken attraktiver auf Frauen - umgekehrt gilt dies nicht.
Persönlichkeitsmerkmale dagegen spielen beim ersten Kennenlernen so gut wie keine Rolle. Vielleicht später? Die Berliner Forscher untersuchten, wie sich die Drei-Minuten-Kontakte weiterentwickelten: 68 Prozent der Studienteilenehmer tauschten E-Mails aus, 40 Prozent telefonierten miteinander, 39 Prozent trafen sich. Danach wurde offenbar noch einmal kräftig gefiltert: Nur fünf Prozent der Kandidaten waren ein Jahr nach dem Speed Dating in einer verbindlichen Liebesbeziehung.
"Die Liebe auf den ersten Blick ist ungefähr so zuverlässig wie die Diagnose auf den ersten Händedruck“, hatte der irische Dramatiker George Bernard Shaw gemutmaßt. Fest steht: Ob sich aus der spontanen Verliebtheit eine, womöglich sogar langfristige, Liebe entwickelt, hängt von vielen Faktoren, die weit über die anfänglichen Auswahlkriterien hinausgehen.
"Jeder von uns besitzt sein inneres Drehbuch für die Partnerschaft", sagt der Berliner Paartherapeut Dr. Krüger. Das Nähe-Distanz-Verhältnis spiele dabei eine wichtige Rolle. "Wir möchten einen Partner haben, der Nähe herstellt, ohne uns zu nah zu kommen." Das genaue Maß ist individuell verschieden, aber immer deutlich zu spüren. Dr. Krüger nennt ein Beispiel: "Wenn eine Frau einen Partner sucht, der innerlich unabhängig ist, wird sie sich kaum für den Mann an der Bar interessieren, der auf dem Hocker unsicher hin und her rutscht und das Flair des Muttersöhnchens verströmt."
Partnerschaft: Gemeinsamkeiten spielen eine Rolle
Ähnlichkeit ist ein weiteres wichtiges Kriterium. "Gleich und gleich gesellt sich gern", sagt der Volksmund. Und hat Recht. "Für die Partnerschaft bevorzugen wie Menschen, mit denen wir Gemeinsamkeiten teilen können", sagt Dr. Krüger. Das Bedürfnis nach Ähnlichkeit bezieht sich auf Interessen, Geschmacksfragen, Alter, Bildung, Bindungsgrad - und sogar das Aussehen: Studien zeigen, dass die meisten Männer und Frauen einen Partner auswählen, der ähnlich gut aussieht wie sie selbst. Außerdem orientieren sich 80 Prozent optisch am Vorbild des andersgeschlechtlichen Elternteils. Der Mann sucht sich unbewusst eine Frau, die der eigenen Mutter ähnelt; die Frau einen Mann, in dem sie Züge ihres Vaters wiedererkennt.
"Damit eine Beziehung zustande kommt, ist es notwendig, dass wir die Welt in ähnlicher Weise betrachten - und über die gleichen Dinge lachen können", sagt Dr. Krüger. Das sei die Basis. Ergänzend komme hinzu, was der Volksmund als "Gegensätze ziehen sich an" formuliert. Ein schüchterner Mensch beispielsweise wähle häufig unbewusst einen eher dominanten Partner. Zum Glück, findet Dr. Krüger, "denn bei zwei schüchternen Menschen würde nichts rocken."
Liebe macht blind - zumindest anfangs
Seit geraumer Zeit setzen auch Biochemiker und Neurobiologen einige Energie daran, die Liebe zu durchschauen. Sie haben herausgefunden, dass heftige Verliebtheit unter anderem zur Ausschüttung des Glücksbotenstoffes Serotonin im Gehirn führt, dass es eine wahre Flut des Belohnungshormons Dopamin auslöst, welche wiederum die Testosteronproduktion ankurbelt. Das sorgt für freudige Erregung bis hin zur Raserei. Kein Wunder, dass im Akutstadium die Verliebten auf Außenstehende nur eingeschränkt zurechnungsfähig wirken.
Dass Liebe sogar blind machen kann, ist nur eine der zahlreichen Nebenwirkungen: Die Liebenden nehmen sich gegenseitig nur durch die rosarote Brille wahr und blenden Nachteile aus, stellten Forscher der Florida State University fest, und auch für potenzielle Alternativen haben sie keine Augen. Doch mit der Zeit - im Durchschnitt nach sechs Monaten - gerät die Beziehung in ruhigeres Fahrwasser. "Kuschelhormone" wie Oxytocin übernehmen die Regie, verströmen die Empfindung von Nähe und Bindung. Der Rausch ist vorbei, und die Liebe beginnt.